steinbrener/dempf: freeze!
Dioramen und Stillleben von Steinbrener/Dempf
Eine Ausstellung von 6. Juni bis 23. September 2012 im Naturhistorischen Museum Wien
Zur Ausstellung
Täuschung und Irritation als künstlerische Strategie ziehen sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der Künstlergruppe Steinbrener/Dempf und verweisen oft auf gesellschaftliche Sachverhalte. So wurde etwa die Linzer Ursulinenkirche im Projekt «Pass the Buck» scheinbar zu einer Starbucks-Filiale umgebaut. Das Implantieren von Skulpturen in Tiergehegen des Tiergarten Schönbrunns im Rahmen des Projekts «Trouble in Paradise», führte zu einem Einbruch der Realität in die Künstlichkeit des Zoos. Der inszenierte Störfall durchsetzt die künstliche und romantisierte Darstellung der Wildnis mit Elementen der Zivilisation.
In der Ausstellung «Freeze!» setzen sich Steinbrener/Dempf nun ebenfalls mit der Künstlichkeit der romantisierten Tierdarstellung sowie der Konfrontation von Mensch und Tier auseinander und revitalisieren ein für naturwissenschaftliche Museen traditionelles Ausstellungsmittel: das Diorama.
Im klassischen Diorama stehen das Vortäuschen von Realität und das Erzeugen einer optischen Illusion im Mittelpunkt. Die Kombination von dreidimensionalen Objekten im Vordergrund und einem zweidimensionalen Hintergrund erzeugt eine künstliche Nachbildung der idealisierten Wirklichkeit.
Die drei gezeigten Dioramen thematisieren Strategien des Zusammenlebens von Tier und Mensch im urbanen Kontext. Affen, die sich in scheinbarer Idylle harmonisch in ihre Umgebung einpassen und assimiliert im Kabeldschungel der Großstadt leben. Krabben, die vollkommen unbeirrt, beinahe autistisch jegliche Veränderung ihres natürlichen Lebensraums ignorieren und sich stur ihren Weg durch und über zivile Hindernisse suchen. Und schließlich ein Elch der wortwörtlich mit seiner gebauten Umgebung kollidiert. Assimilation, Ignoranz und Kollision.
Die dreidimensionalen Schaukästen gehen aus einer Inszenierung zweidimensionaler Bilder hervor. Das Motiv des Mumbai-Dioramas «Assimilation» ist von einer tatsächlichen Fotografie eines Affen, der zwischen den Dächern der Millionenstadt umgeben von einem Dschungel aus Stromkabeln fast nicht mehr zu sehen ist, abgeleitet. Das Diorama «Ignoranz» und dessen Motiv der Krabben im Wohnzimmer ist einer Abbildung aus dem Magazin der National Geographic Society nachempfunden. Das Elch-Diorama «Kollision» basiert auf einem YouTube-Video, in dem ein Elch sich in einem schwedischen Supermarkt verirrt, auf dem glatten Boden ausrutscht und mit seinem Geweih die Regale abräumt. Da das Video von einer Überwachungskamera aufgenommen wurde, ist auch das Diorama in der Perspektive der Kamera aufgebaut und um 10° gekippt.
Neben den drei Dioramen werden zehn großformatige Fotografien in der Ausstellung gezeigt. Zum einen handelt es sich dabei um Abbildungen von Dioramen, die ebenfalls in Zusammenarbeit mit den Präparatoren des Naturhistorischen Museums im Studio von Steinbrener/Dempf entstanden sind. Zum anderen um Stillleben mit Tieren und sogenannte Tierstücke. Die sorgfältig arrangierten Stillleben folgen dem klassischen flämischen Vorbild des 17. Jahrhunderts. Den Tieren kommt hierbei jedoch ausschließlich eine allegorische Bedeutung zu, da es nicht um die Abbildung von Realität, sondern um die gegenständliche Inszenierung der Tiere als Objekte geht. Folgen die Dioramen noch gewissenhaft einer populärwissenschaftlichen Wahrheit, so konzentrieren sich die Tierstücke ausschließlich auf die figurale Darstellung der Tiere und vereinen durch inszenierte Gesten und Haltungen zoologisch unvereinbares. Das naturwissenschaftliche Exponat wird zum Objekt der artifiziellen Inszenierung und es kommt zum grotesken Moment theatralischer Darstellung, wenn etwa eine Hyäne dabei zusieht, wie ein Biber im Begriff ist in einen Luster zu beißen.
Die Stillleben, Tierstücke und Studio-Dioramen sind dreidimensional aufgebaute Kompositionen, die zweidimensional abgelichtet werden, wohingegen die Ausstellungsdioramen dreidimensional nachgebaute Momentaufnahmen einer zweidimensionalen Vorlage sind. Das «Stillleben mit Kobras» changiert zwischen abgebildeter Wirklichkeit und abstrakter Grafik. In der Fotoarbeit «The Garden of Earthly Delights» wechseln die Ebenen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität nicht nur durch die Abbildung einer räumlichen Komposition sondern auch durch das Verschwimmen der Grenzen zwischen den Objekten des Dioramas mit dem gemalten Hintergrund.
Die Verschränkung von Zwei- und Dreidimensionalität und die Aufhebung deren Grenzen hat ihren Ursprung nicht nur in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Technik des Dioramas, sondern resultiert zu einem großen Teil aus der professionsübergreifenden Zusammenarbeit von Rainer Dempf, Martin Huber und Christoph Steinbrener, da hier die Techniken und Methoden von Grafik, Fotografie, Architektur, Planzeichnung, Bildhauerei, Malerei und Handzeichnung aufeinandertreffen und miteinander interagieren.
Historisch gesehen war das Diorama ein Instrument zur patriotisch verklärten Darstellung von romantisierter Natur (American Museum of Natural History in New York). Die Ausstellung «Freeze!» ist der Versuch, den romantisierenden Blick der Tierdarstellung gegen einen realistischen Blick im Bezug auf die heutige Verhältnisse wachsender Zivilisation auszutauschen.
Zum ersten Mal in der Geschichte wohnt nach Angaben der Vereinten Nationen die Mehrzahl der Menschen in riesigen Stadtgebieten mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Aber selbst in aus Beton, Stahl und Glas errichteten Städten leben Tausende von Tierarten.
Die Dioramen der Ausstellung sind somit ein exemplarisches Abbild einer realistischen und entromantisierten Darstellung von Tieren im urbanen Kontext sowie eine Momentaufnahme des veränderten Verhältnisses zwischen Tier und Mensch. Der idealisierten Vorstellung vom frei in der Wildnis lebenden Tier wird der Blick auf den in Veränderung begriffenen natürlichen Lebensraum von Wildtieren entgegengestellt.