Experiment Leben - Gabonionta
Das Naturhistorische Museum in Wien zeigt als Weltpremiere die ältesten Fossilien
makroskopisch-mehrzelligen Lebens
Im Jahr 2010 schlug ein Bericht aus dem Fachjournal „Nature“ ein wie
eine Bombe. In 2,1 Milliarden Jahre alten Tonschiefern aus Gabun fand der marokkanisch-französische Geologe Abderrazak El
Albani von der Universität Poitiers und dem CNRS (Centre national de la recherche scientifique), dem nationalen Zentrum für
wissenschaftliche Forschung in Frankreich, die ältesten Fossilien von komplexen, kolonialen Lebewesen.
Das Leben
auf der Erde entstand vor etwa 3,8 Milliarden Jahren. Die ersten Organismen waren Bakterien, die mitunter mächtige Matten
und Polster bildeten – die Stromatolithen. Lange dachte man, dass diese Bakterienwelt erst vor 580 Millionen Jahren durch
die mehrzelligen Lebewesen der Ediacara-Fauna abgelöst wurde.
Die sensationelle Entdeckung der Gabonionta veränderte
unser Verständnis der Evolution des Lebens fundamental und verschob den bekannten Beginn der Vielzelligkeit um mehr als 1,5
Milliarden Jahre.
Ab 12. März werden die Gabonionta im NHM Wien - als erstes Museum weltweit - ausgestellt. In
zwei Vitrinen werden im Saal 6 die am besten erhaltenen Objekte präsentiert, um die Vielfalt dieses ältesten bekannten Ökosystems
zu dokumentieren. Videos zeigen virtuelle 3D-Rekonstruktionen mehrerer Individuen. Diese Animationen basieren auf Micro-CT-Daten
und erlauben sensationelle Einblicke in den Innenaufbau von Organismen.
Die Gabonionta und der Ursprung
des Lebens
Früheste geochemische Hinweise auf Leben stammen aus metamorphen Gesteinen in Westgrönland. Kohlenstoffsignaturen
in Graphit mit geringen Anteilen des stabilen Kohlenstoffisotops C13 lassen vermuten, dass hier Lebewesen während
ihres Stoffwechsels bevorzugt das leichtere Kohlenstoffisotop C12 einbauten. Die ältesten körperlich erhaltenen
Fossilien sind wesentlich jünger und blieben als Mikrobenmatten in 3,48 Milliarden Jahren alten Gesteinen in Australien erhalten.
Derartige Lebensgemeinschaften aus Bakterien und Archaeen, die als Stromatolithe mitunter mächtige Matten und Polster bildeten,
blieben die dominante Lebensform des Archaikums. Fossile Eukaryoten, die sich von den Prokaryoten durch einen Zellkern und
Organellen unterscheiden, sind rund 1,8 Milliarden Jahre alt. Dieses proterozoische Entstehungsalter wurde auch durch „multigene
molecular clock Analysen“ rezenter Eukaryota bestätigt. Tatsächlich könnten die Eukaryoten dennoch schon wesentlich früher
wichtige Elemente der Biosphäre gewesen sein, da ihre charakteristischen Biomarker in den 2,7 Milliarden Jahre alten Kohlenwasserstoffen
des Pilbara-Kratons in Australien nachweisbar sind. Die Entstehung der Mehrzelligkeit, als nächste Revolution der Biosphäre,
ist ebenfalls schwer zu fassen. Mehrfach dürfte sie unabhängig in verschiedenen Domänen des Lebens entstanden sein. Einfache
Formen der Mehrzelligkeit, in der einzelne Zellen mit anderen kommunizieren, sind sogar bei Cyanobakterien belegt. Obwohl
die Mehrzelligkeit somit seit dem frühen Proterozoikum bekannt ist, war es bisher common-sense, den Sprung in die
makroskopische Welt der Mehrzelligkeit mit dem wesentlich späteren Erscheinen der Ediacara-Fauna vor etwa 580 Millionen Jahren
anzusetzen. Nun revolutionierten Abderrazak El Albani und sein Team dieses Bild durch die Entdeckung makroskopischer, kolonial
lebender, mehrzelliger Lebewesen aus 2,1 Milliarden Jahre alten Sedimenten Gabuns - der Gabonionta.
Evolutionsmotor
Sauerstoff
Aus geochemischer Sicht ist das Timing der Entstehung der Gabonionta kein Zufall. Sie folgt einer
der größten Umwälzungen der Erdgeschichte: dem „Great Oxidation Event“ (GOE). Vor 2,4-2,3 Milliarden Jahren, während der Huronischen
Eiszeit, sammelte sich erstmals freier Sauerstoff in der Atmosphäre. Verursacher dieses gewaltigen Umbruchs war höchstwahrscheinlich
das Leben selbst. Oxygene Fotosynthese durch Cyanobakterien setzte sich seit etwa 3,1, jedenfalls aber seit 2,7 Milliarden
Jahren als effizienter Stoffwechsel durch. Im Ozean wurde der erstmals frei verfügbare Sauerstoff durch Fe2+ und
organische Moleküle sofort chemisch fixiert; in der frühen Atmosphäre reagierte er mit den reduzierten Mineralien der Lithosphäre.
Erst als Ozean und Lithosphäre oxidiert waren, konnte Sauerstoff in der Atmosphäre akkumulieren. Noch war die Atmosphäre allerdings
reich an Methan. Dieses durch Bakterien generierte Treibhausgas agierte als ein weiterer Puffer für molekularen Sauerstoff,
da es unter UV-Strahlung rasch zu CO2 und Wasser oxidiert. Als all diese Sauerstoff verbrauchenden Reaktionen in
Hydro-, Litho- und Atmosphäre zu erliegen gekommen waren, konnte das GOE die Welt verändern.
Der sprunghafte Anstieg
des molekularen Sauerstoffs in der Atmosphäre am Beginn des GOE lässt viele Forscher aber an diesem gradualistischen Modell
zweifeln. Ein Schlüssel zum Verständnis dürfte die Ozenanchemie und insbesondere die Verfügbarkeit von Metall-Ionen gewesen
sein, die in vielen Mikroorganismen als Bestandteile von Enzymen und Co-Enzymen den Stoffwechsel steuern. So waren vor dem
GOE methanogene Mikroorganismen sehr erfolgreich, da Nickel als essentieller Bestandteil eines Co-Enzyms im Übermaß zur Verfügung
stand. Erst durch die Abkühlung der Lithosphäre wurde weniger Nickel durch Vulkanismus für die Biosphäre eingebracht und die
biologische Methanogenese wurde gehemmt; mehr freier Sauerstoff konnte sich sammeln. Auch Molybdän war ein limitierender Faktor.
Es spielt eine entscheidende Rolle bei der Stickstofffixierung von Cyanobakterien und ist somit auch wesentlich für die Fotosyntheseleistung
eines Ökosystems. Im sauerstoffarmen, aber sulfidreichen Ozean vor dem GOE war es vorwiegend als Molybdänsulfid gebunden und
damit dem Leben nicht zugänglich. Mit dem allmählichen Anstieg des Sauerstoffgehalts im Wasser wurde Molybdän vermehrt auch
als oxidiertes, gut lösliches Molybdat-Ion verfügbar und ein positiver, Sauerstoff produzierender Feedbackmechanismus setzte
ein. Zusätzlich förderten die Bildung hunderter neuer Mineralien unter Sauerstoffsättigung und die völlig neue Verwitterungschemie,
die neue Nährstoffe mobilisierte, die ozeanische Nettoprimärproduktion – und somit den Sauerstoffoutput. Das resultierende
Sauerstoffhoch war wahrscheinlich die Vorbedingung für Evolution und Erfolg der Gabonionta.
Komplexe Formen
und koordiniertes Wachstum
Bis zur Entdeckung der Gabonionta waren nur zwei potentielle Kandidaten für makroskopische
Vielzelligkeit bekannt: Grypania spiralis, eine spiral- und fadenförmige, mehrere Zentimeter lange Struktur, die
ab 2,1 Milliarden Jahren in Indien, China und Nord-Amerika nachweisbar ist, und die an eine Perlschnur erinnernde Horodyskia
aus 1,5 Milliarden Jahre alten Sedimenten Montanas und Australiens. Während Grypania vorwiegend als eukaryote Alge
interpretiert wird, könnte Horodyskia ein früher Pilz sein. Beide Organismen sind morphologisch wenig komplex und
erinnern auch an makroskopische Archaeen-Bakterien-Gemeinschaften. Diese Interpretation ist für die Gabonionta aufgrund ihrer
komplexen Morphologie auszuschließen. Über 450 Individuen aus 45 verschiedenen Horizonten wurden bis jetzt geborgen. Die bis
zu 17 cm großen Fossilien lassen sich klar in Morphotypen gliedern. Es gibt Formen mit mehr oder weniger kreisförmigem Umriss
und gestreckte Typen, die an abgeflachte Würmer erinnern. Noch ist ungeklärt, ob die verschiedenen Formen unterschiedliche
Arten repräsentieren oder ob es sich um eine einzige sehr variable Art handelt. Da sich die morphologischen Typen gut unterscheiden
lassen, dürfte es sich aber um zahlreiche Arten handeln. Um den internen Aufbau zu dokumentieren, untersuchten El Albani und
sein Team die Objekte in einem Mikro-CT. Die so gewonnenen Daten gestatteten eine virtuelle 3D-Rekonstruktion und offenbarten
den gemeinsamen Bauplan der Gabonionta. Typisch ist ein ellipsoider oder kugeliger Zentralkörper. Dieser war anscheinend flexibel
und zeigte häufig mehrere Falten. Die Faltung dürfte auf postmortale Verformung des gelatinösen Zentralkörpers zurückzuführen
sein. Dieser Zentralkörper ist von einem Saum umgeben, der eine deutliche radiale Struktur aufweist und in einem gelappten
Rand endet. Der komplexe Aufbau wurde von El Albani als geologisch ältester Hinweis auf koordiniertes Wachstum und interzelluläre
Kommunikation gedeutet.
Der Fundort liegt nur wenige Kilometer nordwestlich von Franceville im gleichnamigen Becken,
in dem sich die Paläoproterozoischen Sandsteine und Silt/Tonsteine der Franceville-Gruppe über 35 000 km2 erstrecken.
Die Fossilien stammen aus schwarzen, geschichteten Tonsteinen, die küstennah in einem Flachmeer abgelagert wurden. Viele der
Gesteinsplatten zeigen zahlreiche Fossilien in-situ mit einer Dichte von bis zu 40 Individuen pro m2.[8]
Anscheinend lebten die Gabonionta in dichten Kolonien am flachen Meeresboden. Die als Druck und Gegendruck erhaltenen Fossilien
sind in Pyrit und Eisenoxide umgewandelt. Diese Erhaltung erlaubte es dem Team um El Albani, geochemisch auszuschließen, dass
es sich um abiogene Strukturen handeln könnte. Massenspektrometrische Analysen der Schwefelisotope der Pyritkristalle zeigten
sehr leichte δ34S Werte innerhalb der Fossilien. Diese Signaturen deuten darauf hin, dass die Pyritisierung frühdiagenetisch
durch Sulfat reduzierende Schwefelbakterien induziert wurde. Zusätzlich zeigte der organische Kohlenstoff innerhalb der Fossilien
andere C13 Signaturen als das Umgebungssediment.
Das Ende des Experiments
Das
Zeitfenster für die Evolution der Gabonionta war somit eng an das Great Oxidation Event gebunden. Auch ihr Verschwinden dürfte
wesentlich mit der Entwicklung der Atmosphäre verknüpft gewesen sein. Nur etwa 100 Millionen Jahre nach dem Aufblühen der
Gabonionta sank der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre drastisch ab. Wieder geben die proterozoischen Meeressedimente des Franceville-Beckens
in Gabun den entscheidenden Hinweis. In den Abfolgen, die mit 2,15 bis 2,08 Milliarden Jahren bereits deutlich jünger als
die Schichten mit den Gabonionta sind, konnte 2013 ein Team um Donald E. Canfield und Abderrazak El Albani einen raschen Umbruch
von sauerstoffreichem Tiefwasser zu euxinischen Bedingungen nachweisen. Diese Sauerstoffkrise folgt einer globalen Phase,
in der große Mengen an organischem Kohlenstoff in den Sedimenten gebunden wurden – dem Lomagundi Event. Geochemischen Ausdruck
findet diese Phase in der stärksten positiven 13C-Abweichung der Erdgeschichte. Der markante Anstieg der Nettoprimärproduktion
dürfte auf die oxidative Verwitterung der Lithosphäre und der damit einhergehenden Mobilisierung von Nährstoffen wie Phosphor
zurückzuführen sein. Daher entstanden während des Lomagundi Events auch die ersten marinen Sulfat- und Phosphatlagerstätten.
Als die Sedimente, die während des etwa 100 Millionen Jahre andauernden Lomagundi Events akkumulierten, durch tektonische
Prozesse wieder der Verwitterung ausgesetzt wurden, bedeutete der darin gespeicherte organische Kohlenstoff eine gewaltige
Senke für den atmosphärischen Sauerstoff. Damit begann für das System Erde eine stabile, oft als „Boring Billion“ bezeichnete
Phase, die erst mit den extremen Klimaschwankungen der Snowball-Earth Phase endete.
Die Ausstellung
Trotz ihrer Bedeutung für die Evolution des Lebens waren die Fossilien aus Gabun bisher noch nie öffentlich zugänglich.
Das Naturhistorische Museum in Wien gibt nun vom 12. März bis zum 5. Oktober 2014 erstmals einen Einblick in die Welt der
Gabonionta. Ermöglicht wurde die Ausstellung dank der Kooperationsbereitschaft von Prof. Dr. Abderrazak El Albani von der
Universität Poitiers-CNRS, und durch Vermittlung von Dr. Jean-Luc Steffan, dem Attaché für Wissenschafts- und Hochschulkooperation
der Französischen Botschaft in Wien.
In zwei Vitrinen werden in Saal 6 die am besten erhaltenen Objekte präsentiert,
um die Vielfalt dieses ältesten bekannten komplexen Ökosystems zu dokumentieren. Videos zeigen virtuelle 3D-Rekonstruktionen
mehrerer Individuen. Diese Animationen basieren auf Micro-CT-Daten und erlauben sensationelle Einblicke in den Innenaufbau
der Organismen. Wer vertiefende Informationen sucht, findet diese in einem 40-minütigen Film der Universität Poitiers, in
dem neben Interviews mit Fachleuten auch Aufnahmen der Fundstelle zu sehen sind. Der Film wurde von Studierenden des Institutes
für Translationswissenschaft der Universität Innsbruck unter der Leitung von Mag. Martina Mayer aus dem Französischen ins
Deutsche übersetzt und anschließend mit Hilfe zahlreicher Freiwilliger ebenfalls an der Universität Innsbruck in deutscher
Fassung vertont. Dieses Übersetzungsprojekt wurde unter der Schirmherrschaft des Frankreich-Schwerpunkts der Universität Innsbruck
und in Kooperation mit der Französischen Botschaft in Wien bzw. dem Institut français de Vienne durchgeführt.
Die
Ausstellung wird von Mitarbeitern der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des NHM gemeinsam mit Prof. Dr. Abderrazak El
Albani kuratiert.
Pressemeldung
Publikation Plos One
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Communiqué
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