Obwohl die eigentliche Rassenzucht ein relativ junges Phänomen ist, haben umfangreiche Fundserien von Einzelknochen und Funde
gut erhaltener Schädel gezeigt, dass trotz mancher statistischer Überschneidungen auch zwischen verschiendenen Populationen
früherer Perioden charakteristische und regelmäßig auftretende Form- und Größenunterschiede zu beobachten sind. So lassen
sich bereits zur Jungsteinzeit bei mehreren Haustierarten regionale Größen- und Merkmalsdifferenzen herauskristallisieren,
die mit den verzweigten Ausbreitungswegen der Viehwirtschaft und ihren regionalen Anpassungsprozessen in Zusammenhang stehen.
In Österreich hat sich gezeigt, dass sich z. B. die etwas größeren Pferde der Bronze- bis Hallstattzeit markant von den später
folgenden, sehr kleinen Ponys der Keltenzeit unterscheiden. Das römische Militär erschien wieder mit verhältnismäßig großen
Pferden.
Auch die Schädelgestalten unterscheiden sich auf charakteristische Weise. Während die frühesten Hauspferde in Ostösterreich
noch hohe, schlanke und gestreckte Schädel aufweisen, zeigen die keltischen und germanischen Ponys ziemlich gedrungene, niedrige
Formen. Römische Militärpferde waren viel stattlicher, doch im Vergleich zu heutigen Reitpferden höchstens mittelgroß. Die
Pferdeschädel der aus dem Osten bis vor die Tore Wiens eingedrungenen Reiternomaden waren dagegen oftmals auffällig breit
gebaut.
Doch nicht nur unter den Pferden lassen sich charakteristische Gruppen unterscheiden, sondern auch bei den anderen Arten.
Markant sind auch die Gestalt- und Größenunterschiede zwischen jungsteinzeitlichen Rindern im Donauraum und Alpengebiet, oder
zwischen heimischen Rindern und importierten Rindern der römischen Kaiserzeit, die oft in ein und demselben Fundkomplex nebeneinander
vorkommen. Trotz der offensichtlichen Unterschiede in Gestalt und Nutzungsweise wurde längere Zeit hindurch versucht, alle
nur als Varianten einer einzigen Population aufzufassen. Die jüngsten Untersuchungen an ganzen Skeletten und großen Knochenserien
haben jedoch deutlich gemacht, dass sich die Rassenunterschiede bis in die einzelnen Knochen wahrnehmen lassen.
Über genaue Gestaltvergleiche mit alten Landrassen, wie sie teilweise kaum verändert von der Antike bis ins 19. Jahrhundert
hinein existierten, kann es gelingen, das wahrscheinliche Erscheinungsbild früherer Haustierformen zu erschließen. Hilfreich
sind dabei antike Beschreibungen und besonders Fellfunde, wie sie aus den österreichischen Salzminen geborgen wurden. So konnte
etwa die auf Basis der Knochenfunde erschlossene große Ähnlichkeit der norisch-keltischen Rinder mit den im 20. Jahrhundert
ausgestorbenen, rotbunten Steirischen Bergschecken bestätigt werden.