Anthropologische Erkenntnisse zum Gräberfeld


Wie das tägliche Leben der Menschen, die in der Eisenzeit im Hallstätter Hochtal gelebt haben und dort begraben wurden, tatsächlich ausgesehen hat, wird man wohl nie vollständig klären können. Die menschlichen Skelettreste aus dem Gräberfeld ermöglichen uns jedoch einen selektiven Einblick in ihre eisenzeitliche Welt: durch die anthropologische Untersuchung der Knochen kann man einzelne Aspekte des Lebens dieser Menschen nachvollziehen. Sterbealter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Verletzungen – alles, was an den Knochen sichtbar ist, kann erfasst werden. So ist es möglich, etwas über den Alltag und den soziokulturellen Hintergrund der Menschen zu erfahren. Der zusätzliche Vergleich mit Daten anderer Bevölkerungen kann zu einem umfassenden Bild unserer eisenzeitlichen Vergangenheit beitragen.

Anthropologisch untersuchte Skelette aus Hallstatt
Allgemeines zur Bestimmung von Skeletten
Erwachsene im Sample
Einschränkungen des Skelettsamples
Kinder und Jugendliche im Sample
Erkenntnisgewinn durch Muskelmarken
Muskelmarken bei Frauen
Muskelmarken bei Männern
Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
Kinder im Arbeitsprozess
Auswertung der Muskelmarken
 

Anthropologisch untersuchte Skelette aus Hallstatt

Das Hallstätter Gräberfeld ist in vielerlei Hinsicht ein Spezialfall. Das gilt auch für den anthropologischen Befund: es finden sich im gleichen Areal sowohl „normale“ Körpergräber (ca. 53%) als auch sogenannte Brandbestattungen: einige der Toten (etwa 47%) wurden vor ihrem Begräbnis eingeäschert. Insgesamt 215 Skelette aus dem Gräberfeld Hallstatt wurden durch die Autorin anthropologisch bearbeitet. Sie wurden bis zur Grabungssaison 2001 aus insgesamt ca. 1400 freigelegten Gräbern sämtlicher Grabungen geborgen.
 

Allgemeines zur Bestimmung von Skeletten

Das Sterbealter wird an erwachsenen Skeletten in erster Linie anhand von Merkmalen am Schambein, des Abkauungsgrades der Zähne und der Verwachsung der Schädelnähte beurteilt. Das Alter von Kindern wird anhand des Zahnstatus und der offenen Wachstumsfugen festgestellt. Die wichtigsten Merkmale für die Geschlechtsbestimmung bei Erwachsenen befinden sich am Becken, aber auch Merkmale an Schädel und Unterkiefer werden dazu herangezogen. Für die Berechnung der Körperhöhe Erwachsener wird die Länge der Langknochen gemessen.
 

Erwachsene im Sample

Generell betrachtet waren die eisenzeitlichen Hallstätter sehr kräftig gebaut. Etwa 81% der Skelette wurden als erwachsen bestimmt, 19% als nicht erwachsen. Bei 70 der 175 erwachsenen Individuen konnte das Geschlecht als männlich festgestellt werden. Davon erreichten 37% ein Alter zwischen 20 und 40 Jahren, 50% ein Alter zwischen 40 und 60 Jahren; 13% der männlichen Individuen konnten als älter als 60 Jahre eingeordnet werden. Unter den 43 weiblichen Skeletten befanden sich eine Jugendliche, 58% junge Erwachsene bis 40 Jahre, 26% zwischen 40 und 60 Jahre alte und 14% über 60jährige Individuen. Die durchschnittliche Körperhöhe beträgt bei den Frauen rund 160 cm, bei den Männern rund 170 cm.
 

Einschränkungen des Skelettsamples

Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass mehr Männer als Frauen in dem Friedhof begraben sind. Allerdings muss man berücksichtigen, dass hier erstens „nur“ 215 Individuen bestimmt wurden, von denen rund 47% unbestimmbar blieben. Die fehlenden Frauen könnten also in den unbestimmbaren erwachsenen Individuen enthalten sein. Außerdem handelt es sich nur um einen Bruchteil der im Hochtal bestatteten Menschen. Die gesamte Belegung des Gräberfeldes wird aufgrund der Dichte der Gräber in den neuen Ausgrabungen auf mindestens 4000 geschätzt.


Kinder und Jugendliche im Sample

Die Anzahl der Kinder in dem untersuchten Skelettsample ist mit 29, darunter ein Neugeborenes, nicht sehr hoch. Auch die Jugendlichen sind mit elf Individuen unterrepräsentiert. Die Gründe dafür können einerseits an den dünneren Knochen von jungen Menschen liegen, die generell in der Erde schlechter erhalten bleiben. Zu einem Teil wurden sie jedoch bei den früheren Grabungen oft auch übersehen bzw. nicht geborgen, möglicherweise auch, weil sie zumeist weniger oder weniger wertvolle Grabbeigaben bei sich hatten. Trotzdem finden sich in der Population alle Altersgruppen, vom Neugeborenen bis zum Greis, und beide Geschlechter. Das Vorhandensein von Bestattungen von Frauen, Kleinkindern und alten Menschen spricht dagegen, dass es sich beim Hallstätter Gräberfeld um den Friedhof einer männlich dominierten Werkssiedlung handelt.
 

Erkenntnisgewinn durch Muskelmarken

Muskeln und Sehnen hinterlassen Spuren an den Stellen, wo sie am Knochen ansetzen. Diese Stellen werden Muskelmarken genannt, können in Größe und Form beurteilt und in verschiedene Kategorien gefasst werden. Aus den beanspruchten Muskelgruppen kann man auf die ausgeführte Bewegung rückschließen. Wird ein Muskel regelmäßig trainiert, wird er größer und kräftiger, genauso wie seine Ansatzstelle am Knochen. Bei dauernder Überbelastung der Muskeln und zu kurzen Erholungsphasen oder ruckartigen Bewegungen ohne Aufwärmen kommt es zu Muskelfaserrissen; das Gewebe stirbt ab, und es bilden sich Löcher und Rillen an der Knochenoberfläche. Durch eine Analyse dieser Muskelmarken und ihrer Veränderungen durch Überbelastung wurde versucht, die Arbeitsbelastung der Hallstätter zu klären.

Prinzipiell stellte sich die Frage, ob die mit reichen Grabbeigaben ausgestatteten Toten des Hallstätter Gräberfeldes die Bergarbeiter darstellen. Wenn ja, war noch fraglich, ob Männer, Frauen und auch Kinder mit dem Salzabbau beschäftigt waren, und ob es eventuell eine Arbeitsteilung gab. Von den 175 erwachsenen Individuen aus dem Hallstätter Gräberfeld konnten 99 gut erhaltene Skelette (45%: 48 männlich, 24 weiblich, 27 unbestimmt) für die beschreibende statistische Muskelmarkenanalyse herangezogen werden.
 

Muskelmarken bei Frauen

Die Ergebnisse waren erstaunlich: die Hallstätter Frauen zeigten sehr starke Muskelmarken bei Muskeln, die für die Beugung des Ellbogengelenkes/Unterarms und das Heben, Tragen oder Ziehen schwerer Lasten zuständig sind. Zwei dieser Muskeln, der Musculus brachialis, auch Armbeuger genannt, und der bekannte zweiköpfige Muskel, der Musculus biceps brachii, sind insgesamt bei den Frauen sogar signifikant stärker ausgeprägt als bei den Männern.
 

Muskelmarken bei Männern

Die Hallstätter Männer beanspruchten vor allem jene Muskelgruppen am Oberarm, die in Schlag- und Stoßbewegungen arbeiten, auch gegen Widerstand. Das sind beispielsweise der Musculus triceps brachii, der dreiköpfige Oberarmmuskel und wichtigste Strecker des Ellbogengelenks, oder der große Brustmuskel, der Musculus pectoralis major, der gemeinsam mit dem breiten Rückenmuskel den erhobenen Arm kraftvoll nach unten senken kann.
 

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Offensichtlich haben also Männer und Frauen schwer gearbeitet. Die Unterschiede zwischen ihnen zeigen sich am stärksten in den beanspruchten Muskelgruppen: dieser Umstand spricht für eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Vor allem verglichen mit im Flachland lebenden Populationen unterscheiden sich die Hallstätter Frauen bei der Knochendicke statistisch weniger von den Männern.

Nach diesen Ergebnissen wäre ein möglicher Schluss, dass die Männer für den Salzabbau – Schlagbewegung mit Bronzepickel – zuständig waren und die Frauen vermutlich stärker für Transporte – Hebe-, Zieh- bzw. Tragbewegung – eingesetzt waren. Es muss nicht sein, dass sie Salz transportiert haben, es kann auch Wasser oder Holz gewesen sein. Aus dem Bergwerk sind einige Lederriemenfunde bekannt. Möglicherweise waren die Salzblöcke an Hölzer gebunden, die geschultert wurden. Die asymmetrischen Abnützungsspuren an den Wirbelsäulen mancher Frauen würden dafür sprechen.
 

Kinder im Arbeitsprozess

Wahrscheinlich haben die Bewohner des Dorfes im Hallstätter Hochtal recht früh in ihrer Kindheit oder Jugend mit der Arbeit im Salzbergwerk begonnen. Abnützungsspuren an den Halswirbeln und Veränderungen der Ellbogengelenke bei Kinderskeletten deuten auf eine frühkindliche starke Belastung hin.
 

Auswertung der Muskelmarken

Diese Ergebnisse belegen, dass zumindest ein Teil der Hallstätter Bevölkerung schwer gearbeitet hat. Das wird besonders im Vergleich mit anderen Bevölkerungen deutlich: die Hallstätter zeigten in der Muskelmarkenanalyse wesentlich höhere Werte als Vergleichspopulationen. Die untersuchten Skelette repräsentieren jedoch nur einen kleinen und zufälligen Teil der gesamten in Hallstatt begrabenen Bevölkerung.

Die Auswertung der bisher untersuchten Muskelmarken spricht dafür, dass Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer in den Produktionsprozess arbeitsteilig eingebunden waren. Sie haben dort ihr Leben verbracht und wurden nach ihrem Tod auf dem Friedhof im Hochtal begraben.


 
: Durch die im Bergwerk gefundenen Exkremente ist die tägliche Bergarbeiterkost bekannt: das "Ritschert". Es enthält unter anderem Gerste und Hirse, also sehr kohlehydratreiche Nahrung, welche zu starker Abkauung führt und zur direkten Kariesbildung beiträgt. (Foto: A. W. Rausch - NHM Wien)
Durch die im Bergwerk gefundenen Exkremente ist die tägliche Bergarbeiterkost bekannt: das "Ritschert". Es enthält unter anderem Gerste und Hirse, also sehr kohlehydratreiche Nahrung, welche zu starker Abkauung führt und zur direkten Kariesbildung beiträgt. (Foto: A. W. Rausch - NHM Wien)
: An den Gelenken waren teilweise schwere Abnutzungserscheinungen (Arthrosen) sichtbar. (A. W. Rausch - NHM Wien)
An den Gelenken waren teilweise schwere Abnutzungserscheinungen (Arthrosen) sichtbar. (A. W. Rausch - NHM Wien)
: M. brachialis, Ansatzstelle an der linken Elle (von links nach rechts): leichte, mittlere und starke Ausprägung. (Bild: W. Reichmann - NHM Wien)
M. brachialis, Ansatzstelle an der linken Elle (von links nach rechts): leichte, mittlere und starke Ausprägung. (Bild: W. Reichmann - NHM Wien)
: Sterbealtersverteilung: Infans I: 0-6 Jahre, Infans II: 7-13 Jahre, juvenil: 14-19 Jahre, adult: 20-39 Jahre, matur: 40-59 Jahre, senil: > 60 Jahre (Bild: D. Pany)
Sterbealtersverteilung: Infans I: 0-6 Jahre, Infans II: 7-13 Jahre, juvenil: 14-19 Jahre, adult: 20-39 Jahre, matur: 40-59 Jahre, senil: > 60 Jahre (Bild: D. Pany)
: M. triceps brachii, langer Kopf, Ansatzstelle am rechten Schulterblatt (von links nach rechts): leichte, mittlere und starke Ausprägung. (Bild: W. Reichmann - NHM Wien)
M. triceps brachii, langer Kopf, Ansatzstelle am rechten Schulterblatt (von links nach rechts): leichte, mittlere und starke Ausprägung. (Bild: W. Reichmann - NHM Wien)
  
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